Sie sind hier

Weihnachten, Kirche und Massentierhaltung

05.12.2018

www.change.org: Weihnachten, Kirche und Massentierhaltung - eine Weihnachtslektüre zum Nachdenken

Von Vladislav Altbregin

Bald feiern wir wieder das Fest der Hoffnung, der Besinnlichkeit und der Liebe. Eine sehr selektierte Liebe, denn sie bezieht sich nach der Definition der meisten Menschen einzig auf die eigene Spezies. Die anderen Lebewesen schlachten und verspeisen wir zur Feier dieses Tages. Das ist völlig OK und normal - sagt unsere Gesellschaft.

Ich habe mir oft die Frage gestellt, warum unsere westliche Gesellschaft des 21. Jahrhunderts in großen Teilen ignoriert, wie viel Leid, welches gewaltige Ausmaß an Zerstörung und gesundheitliche Gefährdungen dieser gigantische Konsum mit sich bringt, der einzig durch Massentierhaltung ermöglicht wird. Nach wie vor reflektieren nur sehr wenige, was Massentierhaltung für Tier, Mensch und Umwelt bedeutet.

Über unsere Medien haben wir Zugang zu sämtlichen relevanten Informationen. Wer lesen kann, wer in der Lage ist, einen Fernseher ein- und auszuschalten, hat davon gehört. Trotzdem blenden wir aus, verweigern wir Veränderung oder gehen diese nur sehr zögerlich an.

Die Tierfabriken-Industrie wird sogar durch Subventionen mit öffentlichen Geldern gezielt fördert. Der deutsche „Bund für Umwelt und Naturschutz“ erfaßte bereits 2008/2009 in einer Studie, daß die EU allein in Deutschland jährlich die sogenannte Intensivhaltung von Schweinen und Geflügel mit mehr als einer Milliarde Euro subventionierte. Steuergelder, die ich liebend gerne anderweitig investiert gesehen hätte.

Und dann wäre noch die Kirche. Unsere erstaunliche Fähigkeit, über all das verursachte Leid hinwegzusehen, es als „Normalität" hinzunehmen, ist eng mit dem christlichen Glauben verknüpft. Sie hat dafür gesorgt, daß die Ideologie des Karnismus und der Glaube an die Minderwertigkeit von Tieren über die Jahrhunderte fest in unserem Denken verwurzelt wurde und somit ermöglicht, daß die meisten Menschen Tierleid für unsere Ernährung als notwendiges Opfer (seitens der Tiere) akzeptiert haben, ohne dabei moralische Schuld zu empfinden.

Die Massentierindustrie feiert bald 100sten Geburtstag

In den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts, zu einer Zeit, als die Kirche noch weit größeren Einfluß auf Gesellschaft und Politik hatte als heute, wurden im US Bundesstaat Delaware die ersten Massenzuchtanlagen für Hühner in Betrieb genommen, der erste mit einem Bestand von ca. 500 Tieren. Heute werden weltweit ca. 21 Milliarden (!) Nutztiere pro Jahr in Massentierhaltung gehalten und in Massenschlachtung getötet (Anm.: Insgesamt sind es weltweit sogar mehr als 60 Milliarden Landtiere – plus ca. 3 Billionen Fische -, die jährlich für unseren Fleisch-, Fisch-, Eier- und Milchkonsum leiden und sterben müssen!). In nur knapp 100 Jahren entstand eine gewaltige Industrie in Dimensionen, die kaum noch vorstellbar sind.

Massentierhaltung wurde mit rasanter Geschwindigkeit zu einem wesentlichen Faktor der menschlichen Existenz und vereinnahmt heute mehr als zwei Drittel der zur Verfügung stehenden landwirtschaftlichen Nutzflächen. Allein die OS-Gesellschaft „Tyson Foods", das zweitgrößte Fleischunternehmen der Welt, schlachtet 42 Millionen Hühner, 170.000 Rinder und 350.000 Schweine - pro Woche!

Die weltweiten Auswirkungen sind dramatisch für Mensch und Tier

Massentierhaltung ist mitverantwortlich für die Abholzung des Amazonas-Regenwalds und die Überfischung der Weltmeere. Achtzig Prozent des Welt- Soja -Ertrages und ein Drittel des gesamten Fischfangs werden für die Fütterung der Tiere benötigt. Massentierhaltung läßt große Agrarkonzerne kleine Bauern von ihrem Land vertreiben und verseucht durch in der Gülle enthaltenen Nitratstickstoff, durch Hormone und Medikamentenrückstände unser Grundwasser. Diese verunreinigen nicht nur die Trinkwasserbestände sondern gelangen von den Äckern letztendlich in Seen und Meere. In der Ostsee kommt es durch den Düngereintrag deswegen inzwischen jährlich zu riesigen Algenblüten, die dem Wasser Sauerstoff entziehen und dann zu Fischsterben führen.

1 kg Fleisch entspricht der Fahrt von Berlin nach Rom in der CO2 Belastung

Bei der Verdauung – v.a. der Wiederkäuer - entsteht Methan. Die Mengen sind riesig: etwa 200 Liter pro Rind und Tag. Wie nachhaltig die Massentierhaltung am anthropogenen Treibhauseffekt mitwirkt, veranschaulicht die Studie des Österreichischen Geophysikers Kurt Schmidinger. Er hat das Standard Modell zur Berechnung von Ökobilanzen erweitert.

In dieser Bilanz kommen auf 1 kg Fleisch aus Europa bis zu 27 kg Kohlendioxid. Die Bilanz für in Südamerika erzeugtes Fleisch ergibt ein noch besorgniserregenderes Ergebnis: hier wurden 59 kg Kohlendioxid pro kg errechnet. Wird dazu noch der Verlust an CO2 Speicherfähigkeit der natürlichen Vegetation mit einbezogen, die für den Anbau von Futterpflanzen weichen mußte, summiert sich der Verbrauch auf 335 Kilogramm C02 , für nur ein Kilogramm Fleisch! Dieser Verbrauch entspricht der Fahrt in einem europäischen Durchschnittsauto von Berlin nach Rom.

Massentierhaltung ist ein wichtiger Grund, warum sich multiresistente Keime rasant ausbreiten konnten.

Die Tiere werden, bedingt durch Zucht und Haltungsbedingungen beständig anfälliger für Infektionen. Geschwächte und gestreßte Tiere, globale Transporte und die Ansammlung von unnatürlich großen Tierbeständen auf engstem Raum bieten ideale Bedingungen für jede Art von Keim. Daher wird der Einsatz von Antibiotika, in der Masthaltung flächendeckend benötigt und großzügig eingesetzt. Nach Angaben des Bundesamtes für Verbraucherschutz verkaufen Pharmafirmen allein in Deutschland jährlich über 1.450 Tonnen Antibiotika an Tierärzte!

Die häufigen Antibiotikagaben erhöhen das Risiko, daß sich resistente Bakterien bilden, die uns wieder in die Zeit vor der Erfindung von Antibiotika zurückwerfen, in der jeder Infekt, jede OP ein Todesrisiko darstellt. Ein Szenario, das dank Massentierhaltung jeden Tag Realität werden könnte.

Anders als die mittel- und langfristigen Auswirkungen der Massentierhaltung sind die Konsequenzen für die betroffenen Tiere für jedermann leicht nachvollziehbar. Nie vorher gab es eine Zeitepoche oder eine Kultur, in der Menschen Tiere so grausam und in solcher Zahl gequält, gefoltert und getötet haben: Damit sich die Schweine nicht gegenseitig Ohren und Schwänze abbeißen, schleift man ihnen die Eckzähne weg. Damit sich die auf engstem Raum zusammengepferchten Hühner nicht blutig hacken, kupiert man ihnen Schnabelspitzen und Zehenglieder, alles ohne Betäubung. Damit die männlichen Ferkel den störenden Ebergeruch verlieren, schneidet man ihnen die Hoden ab, ohne Betäubung.

Kälbchen werden nach der Geburt von der Mutter separiert und maschinell ernährt. 40 Millionen Küken werden am Tag ihrer Geburt als Abfallprodukte zerschnitten und zerhackt. Masthühner werden zu Krüppeln gemästet, die unter ihrer eigenen Fleischlast zusammenbrechen.

Wir muten den Tieren Lebensbedingungen zu, die sie verrückt machen und den ständigen Einsatz von Psychopharmaka und Antibiotika erfordern. Der Folter in den Tierställen folgt die Qual der Tiertransporte. In viel zu engen Fahrzeugen, in denen sich die Tiere erneut gegenseitig verletzen und abwechselnd unter Hitze und Kälte leiden, kommt es zu Knochenbrüchen und schweren Verletzungen.

Ein hoher Prozentsatz stirbt vor Angst und Streß bereits auf dem Weg zum Schlachthof, wo selbst das Sterben noch zur Qual wird, weil die Tiere oft nicht richtig betäubt und bei vollem Bewußtsein abgestochen werden.

Wie ist so viel Grausamkeit vereinbar mit unserem christlichen Glauben des Mitgefühls und der Barmherzigkeit? Dabei hatte das Christentum, die Religion, die in der westlichen Kultur unser Weltbild, unser Denken und Handeln bis in die heutige Zeit prägt, und deren Anhänger heute auf zirka 1,9 Milliarden geschätzt werden, in ihren Anfängen ein völlig anderes Verhältnis zum Tier. Man findet viele Hinweise, daß Vegetarismus bei den Urchristen sehr verbreitet war.

Diese Haltung änderte sich jedoch grundlegend, als im 4. Jahrhundert Kaiser Konstantin in Rom an die Macht kam, und das Christentum zur Staatsreligion machte. Er bestand auf Fleisch und Weingenuß, welches die Urchristen beides ablehnten und setzte seine neuen Ansichten unter Gewaltanwendung durch. Das dunkle Zeitalter, des durch die christliche Religion sanktionierten Tierleids, begann.

Beim Konzil von Ancyra im Jahr 314 legt die mittlerweile sehr mächtig gewordene Kirche im Kanon XIV fest, daß Priester, die auch das zusammen mit Fleisch gekochte Gemüse nicht essen, als „Ketzer" zu entlassen seien.

Im Mittelalter läßt die kirchliche Inquisition sogar Menschen aufhängen, die sich weigerten, Tiere zu töten. Als Beweis ihres „rechten" römisch-katholischen Glaubens, müssen Verdächtige z. B. öffentlich ein Tier schlachten. Auch wird den Tieren durch die Kirchenheiligen Augustinus und Thomas von Aquin eine unsterbliche Seele abgesprochen. Damit werden sie ausdrücklich vom „Heil in Christus" ausgeschlossen.

Die Abwertung und die Freigabe zur Ausbeutung unserer tierischen Mitgeschöpfe wurde somit über die Religion in die Politik, in die Moralvorstellungen und Schulen des kirchengeprägten Abendlandes eingepflanzt. Mit der kirchlichen Missionierung der restlichen Welt wurde diese Ethik auch in ferne Kontinente getragen.

Und so ist es für viele Menschen möglich, guten Gewissens, erst in der Kirche von der „gnadenbringenden Weihnachtszeit" zu singen und anschließend im gemütlichen Heim einen Braten zu verzehren. Ein Braten, der einmal ein fühlendes, intelligentes Lebewesen war, das dank Massentierhaltung mehr Leid in seinem kurzen Leben erfahren mußte, als sich die meisten von uns auch nur ansatzweise vorstellen können.

Tierschutz-Themen: