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ANIMAL SPIRIT - Newsletter vom 11.01.2018

Schwarz-Blau neu: Tierschutz ade?

11.01.2018

Im neuen türkis-blauen Regierungsprogramm kommt Tierschutz so gut wie nicht vor

Kommentar von Tierarzt Dr. Franz-Joseph Plank, Obmann ANIMAL SPIRIT

Aus dem 180-seitigen ÖVP-FPÖ-Regierungsprogramm 2018 zum Thema „Tierschutz“ (Seite 172): „Tiere würdevoll behandeln und ihren Schutz verbessern. Der naturnahe, respektvolle Umgang mit unseren Tieren muß Leitbild für eine nachhaltige Tierschutzpolitik sein. Der Tierschutz soll daher auf der Grundlage der Erkenntnisse der Forschung und Wissenschaft permanent weiterentwickelt werden. Ziel muß es sein, den Tierschutz als integralen Bestandteil in allen Gesellschafts- und Wirtschaftsbereichen mit zu berücksichtigen.

• Weiterentwicklung des Tierschutzgesetzes unter Einbindung der Tierschutzvereine

• Sicherstellung praxistauglicher Online-Bewerbung für Tierschutzvereine

• Strafen für Tierquälerei und illegalen Tierhandel in Österreich erhöhen“

Dieser kurze Absatz ist alles, was im Regierungsprogramm der neuen türkis-blauen Regierung zu lesen steht – also großteils Überschriften, schönklingende Worte und heiße Luft. Der Tierschutz ist zwar wieder im Gesundheitsministerium angesiedelt (Ministerin Beate Hartinger-Klein), er scheint dort aber noch mehr unter „ferner liefen“ abgestellt zu sein, zumal auch das Sozialministerium seit neuestem hier mit angesiedelt ist.

Die ersten Anzeichen der neuen Regierung lassen für einen Fortschritt im österreichischen Tierschutz somit eher nicht viel Gutes befürchten: Während sich die ÖVP – egal ob schwarz oder „türkis“ eingefärbt - traditionellerweise schon immer vehement gegen Verbesserungen für die Tiere eingesetzt hat (angeblich um "Traditionen" oder die "Bauern" zu schützen, in Wirklichkeit aber nur die Agrarindustrie, also wenige Großbauern), war die FPÖ - zumindest solange sie in Opposition war und in den „hinteren Rängen“ - noch eher für Verbesserungen im Tierschutz zu haben.

Diese Haltung der FPÖ änderte sich jetzt aber offenbar - wie so viele andere Positionen auch (Stichworte Direkte Demokratie oder Ablehnung des für KMUs, Landwirtschaft, Konsumenten- und Tierschutz verheerenden CETA-Abkommens der EU mit Kanada) - schon sehr schnell, sobald sie in der Regierung waren. So wurden in der neuen Koalition nicht nur die Tierschutz, sondern auch die Umwelt- und Frauenkompetenzen zurückgestutzt, die nun allesamt kein eigenes Ministerium mehr sind. Da ändern auch die wenigen Worte im neuen Regierungsprogramm betreffend Tierschutz herzlich wenig (siehe oben).

Denn man vermißt hier eindeutige und klare Worte in Richtung Verbesserung der erst letztes Jahr von der „alten“ Regierung verbrochenen Tierschutzgesetz-Novelle, welche kleine Vereine, die Hunde im Internet vermitteln wollen, kriminalisiert, aber dennoch den illegalen Welpenhandel in keiner Weise einschränkt. Auch Landwirte, die noch immer ihre Katzen nicht kastrieren lassen und somit dem Elend oder dem Tod überlassen wollen, kommen ungeschoren davon, wenn sie sich nur als „Züchter“ deklarieren. Und auch das Wieder-Erlauben des Verkaufs von Hunde- und Katzenwelpen in Zoogeschäften oder das Verbot von Qualzuchten für Modezwecke wurde nicht angedacht. Was den noch viel größeren Bereich der „Nutztiere“ betrifft, so liest man im Regierungsprogramm schon gar nichts: kein Verbot der längst fälligen betäubungslosen Ferkelkastrationen, der Lebendvernichtung von männlichen Eintagsküken oder auch gewisser tierquälerischer Haltungsformen, wie z.B. der Vollspaltenböden oder der dauernden, ganzjährigen Anbindehaltung von Rindern. Letztere wurde ja in der letztjährigen Novelle geradezu einzementiert. Ein Verbot von Langzeit-Tiertransporten auf EU-Ebene (welches ja bis vor gut 20 Jahren – also bis zum EU-Anschluß – zumindest in Österreich gegolten hat), wie jüngst erst wieder in dem erschütternden ZDF-Report aufgezeigt, ist überhaupt tabu. Denn EU-Recht ist ja sakrosankt, soll jenseits jeglicher direktdemokratischer Beeinflussungsmöglichkeit (z.B. Volksbegehren oder gar Volksabstimmungen) stehen und darüber darf nicht einmal nachgedacht werden…

Da wundert es nicht, daß jetzt der neue Innenminister Kickl als erstes laut über eine berittene Polizei in Wien nachdenkt – allerdings ohne dabei auch nur irgendwie an die möglichen Gefahren für Mensch und Tier und schon gar nicht an die betroffenen Pferde zu denken, die in der hektischen, lauten und stinkenden Stadt völlig fehl am Platz sind (siehe Fiaker)! Es scheint also derzeit mit dieser neuen Regierung wenig Hoffnung auf Verbesserung der Tierschutzsituation in Österreich zu geben – aber bekanntlich stirbt ja die Hoffnung zuletzt – wir lassen uns gerne positiv überraschen…

Tierschutz-Themen: 

Schweinepest: Scharfschützen auf Wildschweine

11.01.2018

Welt.de: Warum jetzt schon Scharfschützen auf Wildschweine schießen

In Osteuropa wütet die Afrikanische Schweinepest immer schlimmer. Polen und Tschechien versuchen den Ausbruch einzudämmen. Doch ein Ausbruch bei uns scheint unabwendbar. Er wäre extrem teuer. Denn Deutschland ist ein Schweineland (Anm.: genauso wie übrigens auch Österreich, wo jedes Jahr allein 5,5 Millionen Schweine für den jeweils kurzen Schnitzel-, Kotelett- bzw. Bratwurst-Gaumenkitzel meist im Jugendalter ihr Leben lassen muß!).

Die Pest ist nicht mehr weit. Seit Monaten tauchen in Polen und Tschechien immer mehr Wildschweine auf, die mit der Afrikanischen Schweinepest (ASP) infiziert sind. Die Virusinfektion verläuft immer tödlich, greift schnell auf Hausschweine über, und es gibt keinen Impfstoff dagegen. Die Schweinebauern in ganz Deutschland sind jetzt in höchster Alarmbereitschaft. Das Problem ist ganz nah, weshalb sich das Bundeslandwirtschaftsministerium intensiv auf den Ausbruch der Seuche vor bereitet. Die Schlachtbetriebe haben Notfallpläne in den Schubladen.

Offensichtlich ist die Gefahr mittlerweile so groß, daß die Regierungen in Polen und Tschechien zu drastischen Mitteln greifen, um ihre Schweinebauern vor großen Verlusten zu schützen. In Polen bekommen Jäger auf Anordnung des polnischen Präsidenten Andrzej Duda seit kurzem bis zu sechs Tage bezahlten Sonderurlaub, wenn sie diesen zur Jagd auf die sich schnell vermehrenden Wildschweine nutzen.

Die Zeit drängt. Laut Angaben der obersten polnischen Veterinärbehörde wurden allein zwischen dem 20. und 24. Dezember 45 neue Ausbrüche der Seuche bei Wildschweinen bestätigt. Tschechien geht mittlerweile sogar einen ganz neuen Weg bei der Seuchenbekämpfung. Dort werden Scharfschützen der Polizei vor allem nachts zur Wildschweinpirsch verdonnert, schreibt die Website agrarheute.com.

In vielen deutschen Bundesländern gibt es mittlerweile Abschußprämien, die die heimischen Jäger ermutigen sollen, trotz fallender Preise für Wildschweinfleisch häufiger auf die Jagd zu gehen. In Mecklenburg-Vorpommern gibt das Land den Waidmännern pro erlegtes Tier 25 Euro Prämie, in Bayern sind es 20 Euro.

In Mecklenburg-Vorpommern mit seinen riesigen Schweinemastanlagen beobachten Politiker und Mäster seit Wochen die Nachrichten aus dem Osten. Landwirtschafts- und Umweltminister Till Backhaus (SPD) hat nun als Vorsorgemaßnahme die „drastische Reduzierung der Schwarzwildbestände“ angekündigt. Das sei eine ganz entscheidende vorbeugende Maßnahme, „um Schweinehalter, Schlacht- und Fleischverarbeitungsbetriebe im Land mit einem jährlichen Gesamtumsatz von fast einer Milliarde Euro vor massiven wirtschaftlichen Schäden“ durch den Ausbruch von ASP zu bewahren.

Krankheitserreger sind extrem widerstandsfähig

Der wahrscheinlichste Übertragungsweg der Afrikanischen Schweinepest über große Entfernungen ist der Mensch. Denn die Wildschweine in Tschechien, um Warschau herum und in Kaliningrad haben sich vermutlich über weggeworfene Speisereste infiziert. Die Krankheitserreger sind extrem widerstandsfähig und können an Schuhen, Autoreifen, Ladeflächen, vor allem aber in nicht gegartem Fleisch wie Schinken oder Salami bis zu sechs Monate überleben. Für Menschen ist das Virus ungefährlich.

Experten fürchten, daß Schweinepestviren schon bald von Reisenden oder Transporten aus Osteuropa nach Deutschland eingeschleppt werden könnten. Für den Präsidenten des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI), des Bundesforschungsinstituts für Tiergesundheit, Christoph Mettenleiter, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Virus hier ankommt: „Ein kontaminiertes Schinkenbrötchen kann reichen, um die Afrikanische Schweinepest hier einzubringen“, sagte er jüngst.

Deshalb warnen die Behörden seit Monaten, Wurst- oder Fleischreste insbesondere auf Rastplätzen oder Autobahnparkplätzen liegen zu lassen, denn dort tauchen Wildschweine nachts öfter auf, um Mülleimer zu plündern. Und wenn die das hochinfektiöse Virus auf Hausschweine übertragen, könnte sich die Pest rasend schnell verbreiten in den deutschen Schweinebetrieben – mit zum Teil mehreren Tausend Tieren auf engstem Raum.

Denn Deutschland ist ein Schweineland. Die Gesamtzahl an schlachtreifen Mastschweinen in Deutschland mit mehr als 50 Kilogramm betrug laut den Berechnungen des Thünen-Instituts vor rund einem Jahr 12,25 Millionen Tiere. Die meisten Betriebe befinden sich in Nordrhein-Westfalen, die meisten Mastschweine in Niedersachsen. Der Durchschnittsbestand in Deutschland pro Betrieb betrug 574 Schweine, in den alten Bundesländern 541 und in den neuen Bundesländern 1833, also fast dreimal so viel.

Entschädigungen in Millionenhöhe

In den alten Bundesländern hat Schleswig-Holstein mit 816 Tieren den höchsten Durchschnittsbestand pro Hof gefolgt von Niedersachsen mit 766 und Nordrhein-Westfalen mit 565. Spitzenreiter in den neuen Bundesländern ist Mecklenburg-Vorpommern mit im Schnitt 2406 Mastschweinen pro Betrieb. Vereinzelt sind es aber viel mehr. Deutschland ist neben Spanien einer der größten Schweinefleischexporteure der Welt.

Wenn der Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest in einem Betrieb amtlich festgestellt worden ist, müssen alle Schweine sofort getötet und korrekt beseitigt werden. Dafür gibt es dann finanzielle Entschädigungen aus dem staatlichen Tierseuchenfonds. Dazu kommen dann aber noch Ausgaben für Reinigung und Neubesetzung der Ställe. So kommen bei größeren Betrieben schnell Kosten von weit mehr als 100.000 Euro zusammen. Andere Bauern, die mit ihren bis dahin gesunden Tieren zum Beispiel in Lieferverbotszonen liegen, gehen leer aus, wenn sie nicht privat gegen Tierseuchen versichert sind. Und diese Versicherungen sind teuer.

Tierschutz-Themen: 

Fleischatlas 2018

11.01.2018

www.deutsche-handwerks-zeitung.de: Fleischkonsum und die Folgen für Tiere und Umwelt Fleischatlas 2018: Insekten als alternative Nahrungsmittel?

Die Deutschen essen immer weniger Fleisch. Prognosen gehen jedoch davon aus, daß der weltweite Fleischkonsum bis 2050 um bis zu 85 Prozent (!) steigt. Wird nicht gegengesteuert, werden die gesteckten Klimaziele nicht erreicht, lautet das Fazit des Fleischatlas 2018.

Bereits zum vierten Mal veröffentlichen die Heinrich-Böll-Stiftung, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) und Le Monde Diplomatique ihren Fleischatlas. Unter dem Titel „Rezepte für eine bessere Tierhaltung“ zeigen sie Versäumnisse in der Tierhaltung auf und bieten Lösungsansätze.

Der Fleischkonsum in Deutschland sei zwar in den letzten Jahren zurückgegangen, das Ziel aber noch lange nicht erreicht. Die vorläufigen Zahlen gehen von 1,6 Kilogramm weniger Fleisch aus, das im Jahr 2016 im Gegensatz zum Vorjahr pro Person konsumiert wurde. Der Fleischatlas 2016 beschäftigte sich ausführlich mit dem Konsumverhalten der Deutschen.

Lösungsansätze sehen der BUND und die Heinrich-Böll-Stiftung in dringend notwendigen Änderungen bei der Nutztierhaltung. Sie sehen Verbraucher und Politik in der Pflicht. Fleisch etwa müsse, ebenso wie Eier, eine Kennzeichnungspflicht erhalten. Beim Einkauf kann so auf den ersten Blick erkannt werden, ob das Fleisch aus einem Mastbetrieb kommt.

Güllebelastung in Böden und Grundwasser

Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung, sieht die EU in der Pflicht und fordert Förderungen für Maßnahmen, die eine ökologischere und tiergerechtere Landwirtschaft ermöglichen. So sollen etwa die Tiermengen pro Hektar begrenzt werden und bestehende Übermengen abgebaut werden. Der Fleischatlas spricht von zwei Großvieheinheiten pro Hektar. Das sind zwei Rinder, zehn Schweine oder 666,6 Masthähnchen. Als Negativ-Beispiele nennt der Report die niedersächsischen Gemeinden Cloppenburg und Vechta. Hier ist die Menge fünfmal so hoch wie empfohlen. Wird die Tiermenge pro Hektar reduziert hat das einen positiven Effekt auf die Schadstoffe im Boden. Es wird weniger Gülle produziert.

Insekten als alternatives Nahrungsmittel

Neben Abgaben auf Stickstoffüberschüsse nennen BUND und Heinrich-Böll-Stiftung auch alternative Lebensmittel: Insekten. Sie brauchen weniger Platz und Wasser als Rinder, Schweine oder Hühner, liefern aber alle Nährstoffe die der Mensch braucht. In der Insektenzucht werden, laut Fleischatlas, hundertmal weniger Emissionen freigesetzt wie bei der Rinderzucht. Aber auch der eßbare Anteil liegt mit 80 Prozent deutlich höher als beim Rind (40 Prozent).

Egal wie ein Umdenken aussehen mag, es müsse schnell passieren. Der BUND-Vorsitzende, Hubert Weiger, mahnt, daß eine neue Bundesregierung noch in diesem Jahr Maßnahmen beschließen und umsetzen muß.

PS: Mehr Infos zum Thema auch in der ANIMAL SPIRIT-Fleischbroschüre "Nimm bitte das Tier vom Tisch", zu bestellen HIER

Tierschutz-Themen: 

Gedanken von Barbara Rütting über "Veganitis"

11.01.2018

Neues von Barbara Rütting: Gedanken einer 90-jährigen Tierschutz- und Vegetarismus-Pionierin über die unselige Fehde manch militanter Hordcore-Veganer und „Tierrechtler“ gegen Vegetarier und Noch-nicht-ganz-Veganer!

Das alte Jahr war reich – nicht nur an schönen Erlebnissen und Erfolgen, auch an Enttäuschungen. Wie der Name schon sagt, bedeutet eine Enttäuschung immer das Ende einer Täuschung, ist also wohl etwas, über das man sich freuen sollte – es kann aber dauern, bis man das schafft.. So habe ich lange gezögert, bis ich mich endlich entschloß, aus dem ehemaligen (deutschen) Vegetarierbund, später VEBU, heute ProVeg, auszutreten. Für diesen Entschluß gab es mehrere Gründe, ich muß daher etwas ausholen.

1970 wurde ich Vegetarierin, nachdem ich auf einen Bauernhof gezogen war und die Tiere, die ich nun hautnah kennen und lieben gelernt hatte, nicht länger essen wollte. Bald darauf wurde ich Mitglied im Vegetarierbund Deutschland, 2007 Ehrenmitglied.1976 schrieb ich mein erstes vegetarisches Kochbuch. Es wurde ein Bestseller, und immer wieder berichten mir Menschen, daß sie durch dieses Buch zur vegetarischen Ernährung gefunden haben. Ich kann wohl behaupten, daß ich zu dem Stellenwert, den der Vegetarismus heute in Deutschland hat, mit meinen mittlerweile über 20 Büchern und vielen Vorträgen entscheidend beigetragen habe.

Es sollte aber vier Jahrzehnte dauern, bis ich mir eingestand, daß ich auch durch den Verzehr von Milchprodukten und Eiern am Töten von Tieren schuldig werde, daß ich dazu beitrage, daß Kälbchen ihren Müttern entrissen und geschlachtet und männliche Küken von Biohennen zermust werden, weil sie später eben keine Eier legen können. Ich brauchte vier Jahrzehnte, bis ich den Sprung zur Veganerin schaffte – weil die vegane Lebensweise wohl die einzige wirkliche Alternative für Tierrechtler ist. Ich freue mich riesig darüber, daß vegetarisch und sogar vegan inzwischen „in“ ist, bedaure aber umso mehr die Grabenkämpfe zwischen den verschiedenen Gruppen, in die ich selbst ständig verwickelt werde. Der einen bin ich zu vegan, der anderen nicht vegan genug, weil ich mich grundsätzlich um einen unverkrampften Umgang auch mit diesem Thema bemühe und vorschlage, sich vorprogrammierte Rückfälle liebevoll zu verzeihen – nicht jedeR ist schon so weit, wie man selbst (zu sein glaubt).

1981 habe ich mein vegetarisches „Koch- und Spielbuch für Kinder“ geschrieben. Es wurde ein Bestseller, oft wieder neu aufgelegt. Viele der jungen Mütter, die heute selbst Kinder haben, kennen die Sprüche und Kalauer des kochenden Katers Fettucini noch auswendig. Ich wurde mehrfach gebeten, das Buch zu aktualisieren und neu herauszubringen. Mein Verlag war begeistert von der Idee, Vertreter des VEBU ebenfalls: „Natürlich unterstützen wir diesen zauberhaften Klassiker!“

Zu meinem 90. Geburtstag im November 2017 sollte das Kinderkochbuch erscheinen. Von Anfang an stand fest, daß es sich um die Neuauflage eines Buches aus dem Jahr 1981 mit rein vegetarischen Rezepten handeln wird. Ich schlug vor, einen Teil der vegetarischen Rezepte durch vegane zu ersetzen bzw. zu ergänzen, um auch Kinder aus Familien ohne Kenntnis der vegetarischen oder veganen Lebensweise behutsam an diese heranzuführen. Im Sommer 2016 machte ich mich ans Werk und schaffte das Kunststück – die Rezepte sind vegetarisch bzw. vegan und – vollwertig! Letzteres schulde ich meinem Lehrmeister Dr. Max Otto Bruker, bei dem ich die Ausbildung zur Gesundheitsberaterin gemacht habe und dem ich so viel verdanke. Es wurde ein wundervolles, anstrengendes, aber geradezu euphorisches Jahr.

Der VEBU, inzwischen ProVeg, sagte zu, das Buch in seinem Magazin zu promoten, es eventuell mit dem V-Label auszuzeichnen und organisierte rechtzeitig eine Kochshow auf der Buchmesse. Ich konnte mich über ein Lob von Prof. Leitzmann, wissenschaftlicher Berater von ProVeg, auf der Rückseite des Buchdeckels freuen: „Ich bin begeistert. So kann man Kinder motivieren!“

Dann plötzlich kurz vor der Veröffentlichung der Rückzieher: ProVeg könne das Buch nicht bewerben, weil es nicht nur vegane, sondern auch vegetarische Rezepte enthielt, auch das V-Label würde man nur noch für rein vegane Bücher vergeben. Die Kochshow auf der Buchmesse wurde von ProVeg ebenfalls abgesagt, kurz vor dem festgesetzten Termin – obwohl ich dort ein veganes Rezept aus dem Kochbuch vorgestellt hätte.

Meine Enttäuschung war grenzenlos – immerhin hatte ich mit großer Freude ein ganzes Jahr an dem Buch gearbeitet, im Vertrauen auf die versprochene Unterstützung durch den ProVeg.

Allerdings hatte ich mich inzwischen kundig gemacht, wer denn nun alles dieses V-Label erhalten hatte. Unter anderem darf sich die „Rügenwalder Mühle“, die nach wie vor tierquälerische Massentierhaltung betreibt, mit dem Label für eine vegetarische Wurst schmücken, die, soweit ich weiß, sogar 70 % Eier enthält. Auch Dr. Oetkers vegane Crème fraîche und veganer Schmelzkäse, sogar Gummibärchen von Katjes etc. – tragen das V-Label – also alles Produkte, die mit „vollwertig“ nun wirklich nichts zu tun haben. Vollwertig sei auch nicht das Anliegen von ProVeg, sagte mir die Chefredakteurin des Magazins auf meine Nachfrage. Aha, das erklärt, warum die Rezepte im ProVeg-Magazin vor Zucker strotzen!

Während Ernährungsfachleute mit Verantwortung, wie die Gesellschaft für Gesundheitsberatung oder Foodwatch, selbst Prof. Leitzmann, sich verzweifelt bemühen, die Bevölkerung über die verheerenden Folgen des übermäßigen Zuckerverbrauchs aufzuklären, ist dieser Gesichtspunkt für ProVeg nicht von Interesse – Hauptsache vegan (außer bei Rügenwalder?!), alles andere ist wurscht.

Und nun komme ich zum größten Konflikt mit dem ProVeg.

Seit einigen Jahren wird immer häufiger Anhängern oder Sympathisanten einer Glaubensgemeinschaft außerhalb der Amtskirchen die Teilnahme an vegetarischen Messen verweigert, mit der „Erklärung“, sie seien unerwünscht – sogar ProVeg-Mitgliedern. Einer Schulungsköchin des ProVeg wurde untersagt, auf der Webseite das Restaurant, in dem sie arbeitet, anzugeben, weil dieses mit einer Glaubensgemeinschaft assoziiert wird. Und das, obwohl laut Grundgesetz niemand wegen seiner religiösen Ausrichtung ausgegrenzt oder benachteiligt werden darf!

Mit meinem Demokratieverständnis ist diese Vorgangsweise unvereinbar.

Ich hatte als Alterspräsidentin im Bayerischen Landtag zweimal die Legislaturperiode zu eröffnen und zitierte in meiner ersten Rede einen Satz, dessen Urheber ich leider vergessen habe: „Minderheiten müssen respektiert werden, auch wenn sie einem noch so sehr auf die Nerven gehen.“ Das verstehe ich unter Demokratie!

Immer öfter höre ich, daß langjährige Vegetarier sich vom ProVeg regelrecht diskriminiert fühlen, weil sie (noch) keine hundertprozentigen Veganer sind und erwägen, auszutreten. Über dem ehemals fröhlichen Vegetarier-Dasein hängt eine Art Angstglocke, man fürchtet, nicht hundertprozentig zu sein, fürchtet, als Veganer dabei erwischt zu werden, wie man doch einen Krümel Käse auf der Pizza hat oder einen Klacks Sahne in der Soße. Gleich hagelt es Vorwürfe. Attila Hildmann, Ikone der Veganer, kann auch ein Lied von den Auswüchsen der Veganitis, der Diskriminierung und Verleumdung in der veganen Szene singen. Einmal wird ihm ein Streifen Leder an seinen Turnschuhen verübelt, ein anderes Mal sein Porsche. In dem Buch „Go Vegan“ (siehe unten) schreibt er: (vom folgenden Text nur ein paar wichtige Sätze)

„Mit den meisten Hardcore-Veganern will ich nichts zu tun haben, einfach deshalb, weil ein Großteil der Menschen dieser Szene so negativ ist. Anstatt sich zu freuen, daß es mir gelingt, viele Menschen zu erreichen und für eine vegane Ernährung zu begeistern, greifen sie mich wegen lächerlicher Kleinigkeiten an. Auf meinem Rezepte-Blog hatte ich mal einen Apfelkuchen und die Zutaten dazu gepostet. Daraufhin gab es in einem Onlineforum eine Diskussion darüber, daß der Margarine, die ich für den Kuchen verwendet hatte, tierisches Vitamin D zugesetzt ist. Sofort hieß es, Attila Hildmann ist kein Veganer. Als ob mir dieser Titel wichtig wäre! Es ging mir immer um die Sache. Oder die 8-Pack-Challenge: Auf den Fotos, die ich jeden Tag gemacht habe, um meine Fortschritte zu dokumentieren, posiere ich oben ohne in einer Unterhose von Calvin Klein. Danach gab es Boykottaufrufe der veganen Szene gegen mich, weil Calvin Klein angeblich seine Kosmetikprodukte an Tieren testet. Das heiße ich natürlich nicht gut, aber man weiß ja auch nicht immer alles. Wieder hieß es: Attila Hildmann ist kein Veganer. Dann schauen sie sich die Bilder in meinem Kochbuch an und entdecken, daß ich auf einem Foto Turnschuhe trage, die Leder enthalten. Sofort heißt es wieder: Attila Hildmann ist kein Veganer. Oder ich sitze im Frühstücksfernsehen bei SAT.1 und erzähle der Moderatorin von einem meiner Rezepte, einem Spargelsalat mit Mandelcreme. Dann sagt die Moderatorin: „Da könnte man auch ein Schnitzel dazu essen.“ Und ich antworte: „Ja klar.“ Und schon geht auf Facebook der Shitstorm los. Manchmal habe ich das Gefühl, diese Menschen wollen mich absichtlich falsch verstehen. So viel Aggressivität wie nach diesem Auftritt habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Dabei will ich einfach nur niemanden missionieren. Jeder soll selbst entscheiden, wie weit er geht. Und jede einzelne vegane Mahlzeit ist ein politisches Statement für sich.

Ich glaube, daß sich viele Veganer selbst etwas vormachen. Die meisten behaupten, sie seien vegan, weil sie den Tieren nichts zuleide tun wollen. Ich glaube, viele machen das aber in Wahrheit für ihr eigenes Ego. Sie wollen sich moralisch erhaben fühlen, sich dadurch von anderen Menschen abgrenzen und definieren darüber ihre eigene Identität. Und dann kommt einer wie ich daher und sagt: Ich mache Veganismus für den Mainstream kompatibel. (…)

Am Anfang sind mir die ganzen Anfeindungen sehr nahegegangen, wie ich nicht verstanden habe, was das soll. Ich dachte immer, daß wir alle das gleich Ziel haben und zusammenarbeiten sollten. Stattdessen wurde ich ständig verbal attackiert. Ich bin der Meinung, daß jedes vegane Essen zählt. Dem Tier ist es egal, warum man es nicht ißt. Aber irgendwann habe ich verstanden, worum es den militanten Veganern wirklich geht. An diesem Punkt in meiner Karriere habe ich mich geistig von der veganen Szene verabschiedet.“

Quelle: GO VEGAN! Warum wir ohne tierische Produkte glücklicher und besser leben. riva-Verlag, 2013, S. 136/137

Alle diese Gründe haben mich in meinem Entschluß bestärkt, ProVeg zu verlassen. Wie schwer mir das gefallen ist, kann man sich vorstellen. Schließlich hat der Vegetarierbund, unter welchem Namen auch immer, ein halbes Jahrhundert zu meinem Leben gehört. Der Konflikt hat mir sogar einen Aufenthalt auf der Intensivstation beschert, so sehr hat er mich mitgenommen. Die Diätassistentin der Klinik entdeckte auf meinem Nachttisch das erste druckfrische Exemplar der Neuausgabe vom Kinderkochbuch und jubelte geradezu: „Nein, das gibt´s doch nicht – der Kater Fettucini hat mich durch meine ganze Kindheit begleitet! Das Rezept Potzblitz Pomfrida kenne ich heute noch auswendig! Diesem Katerchen verdanke ich, daß ich Vegetarierin geworden bin und bei Prof. Leitzmann die Ausbildung zur Diätassistentin gemacht habe!“

Das sind dann wieder Glücksmomente, die Vieles aufwiegen.

Liebe Leute, nun wißt Ihr, warum ich ProVeg verlasse. Mein Steuerberater belehrte mich gerade, daß ich pro Buch sowieso nur 80 Cent verdiene, das ist so neuerdings. Ich habe daraufhin den Maserati, den ich in Erwartung schwindelerregender Einnahmen durch das Kochbuch schon bestellt hatte, storniert, ebenso den BH von Calvin Klein – ist vielleicht eh besser so.

Lokah Samastah Sukhino Bhavantu - mögen alle Lebewesen glücklich sein!

Barbara

Tierschutz-Themen: 

Datum: 

Donnerstag, 11. Januar 2018